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Roter Satin
Lilia lebt zusammen mit ihrer halbwüchsigen Tochter Salma in einem bürgerlichen Viertel von Tunis. Eines Nachts landet sie auf der Suche nach Salma in einem verruchten Bauchtanzlokal. Zuerst ist Lilia schockiert. Doch dann zieht die fremde Welt aus Frivolität und ausgelassener Lebenslust sie magisch an.
Lilia lebt als allein erziehende Mutter in einem bürgerlichen Viertel von Tunis. Dass ihre Tochter Salma langsam erwachsen wird und immer weniger auf ihre mütterliche Fürsorge angewiesen ist, macht Lilia traurig und gibt ihr das Gefühl, immer nutzloser zu werden. Als Salma wieder einmal über Nacht nicht nach Hause kommt, macht sich Lilia auf die Suche nach ihrer Tochter und landet dabei in dem verruchten Bauchtanzlokal "Roter Satin". Zunächst ist Lilia von der Freizügigkeit der leicht bekleideten Damen schockiert. Zugleich jedoch fasziniert sie die Sinnlichkeit des orientalischen Tanzes.
Lilia freundet sich mit der quirligen Tänzerin Folla an und entdeckt langsam ihre verloren geglaubte Weiblichkeit und ihre längst verschütteten Sehnsüchte wieder. Sie beginnt ein Doppelleben, in dem sie tagsüber ihre Aufgaben als tadellose, bürgerliche Hausfrau erfüllt und nachts ihre ganze Leidenschaft als feurige Tänzerin auslebt. Als sie eine Affäre mit dem Trommler Chokri eingeht, ahnt sie nicht, dass dieser seit einiger Zeit heimlich mit ihrer Tochter Salma liiert ist.
"Roter Satin" ist ein Film über weibliche Selbstbestimmung in einem arabischen Land. Er schildert die Befreiung einer vom sozialen Druck beherrschten Frau, die sich in einer allmählichen Metamorphose von einer zurückhaltenden, zögerlichen Hausfrau in eine begehrenswerte, sinnliche Tänzerin verwandelt. Kontemplative Bilder des alltäglichen Stadtbildes von Tunis und sensibel beobachtete Momente des innigen Mutter-Tochter-Verhältnisses zwischen Lilia und Salma kontrastieren mit den wilden Nachtclubszenen voller energetischer Musik, elektrisierter Körper und sprühender Farben. Die kraftvolle Gegenüberstellung dieser beiden gegensätzlichen Welten vermeidet jegliche moralisierende Stellungnahme und hebt vor allem die extreme Doppelmoral der arabischen Kultur kritisch hervor.
Der Film schildert, wie schwierig es bis heute für moderne afrikanische Frauen ist, ihre Selbstbestimmung und Freiheit gegenüber den überkommenen patriarchalischen Strukturen zu behaupten. Die tunesische Regisseurin Raja Amari ist Absolventin der renommierten Pariser Filmhochschule FEMIS und realisierte die beiden Kurzfilme "Avril" (1998) und "Un soir de Juillet" (2000), bevor sie 2002 mit "Satin Rouge" ihr erfolgreiches Spielfilmdebüt gab. Ihr Film wurde im Rahmen der Filmfestivals von Montreal, Seattle und Turin gleich drei Mal mit der Auszeichnung "Bester Film" prämiert.
Filmkritik:
Roter Satin – das ist die Geschichte einer ganz normalen, allein erziehenden Mutter. Mit ihrem Film über die Witwe Lilia, die zu einem neuen Leben erwacht und dabei Freude und Vergnügen wiederentdeckt, ist Raja Amari das ergreifende Porträt einer Frau in der maghrebinischen Gesellschaft von heute gelungen. Zu sehen ist nicht das Bild einer „Frau in der Revolte“, die sich gegen ein zutiefst patriarchalisches Sozialgefüge auflehnt, sondern eine ganz gewöhnliche Mutter, die eines Abends mit dem Schritt durch die Tür eines Nachtlokals ein Reich von Sinnlichkeit betritt, in dem sie ihre Freude am Leben wiederentdeckt. Man muss diese Szene gesehen haben, in der Lilia sich zum ersten Mal in der Gesellschaft von Stammkunden und Tänzerinnen wieder findet: wie subjektiv die Kamera agiert, wie sie den Bauch der Tänzerin in Großaufnahmen bannt und wie die gleichzeitig stickige und magisch-bezaubernde Atmosphäre den Ort und alle Anwesenden in einem förmlich greifbaren Fieberzustand taucht.
Die grellen, schillernden Farben der Kleider stehen in frappierendem Kontrast zu der monochromen Welt, in der Lilia lebt. Und so steigert ihr Tanz sich alsbald zur Trance und weist ihr den Weg zur Befreiung aus der Routine ihres Alltagslebens.
Und doch vergisst die Regisseurin keinesfalls die soziale Dimension des Films, den sozialen Blickwinkel.
Ohne jede Protestrhetorik prangert sie ein System an, in dem jeder seinen Nachbarn überwacht, wo das Denunziantentum gezielt gefördert wird, wo die Nachbarin plötzlich vor der Tür steht, um Kritik an der Erziehung der Kinder zu übern …
Und auch die wesentlichste Welt ist ein Thema für Raja Amari. Eine Welt, in der die Generationen mehr und mehr Probleme miteinander haben: in einer der wenigen Bildfolgen, in denen Mutter und Tochter gemeinsam essen, lässt der Fernseher keinerlei Kommunikation entstehen.
In seiner betonten Zurückhaltung und mit dem völligen Fehlen aller Effekte ist Roter Satin ein Spielfilmerstling, der mehr als viel versprechend erscheint.
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Stereo 16:9 94 Min.
Spielfilm, Frankreich/Tunesien 2002, Synchronfassung, ARTE F
Regie: Raja Amari; Buch: Saïda Ben Mahmoud; Kostüme: Magdalena García Caniz; Kamera: Diane Baratier; Schnitt: Pauline Dairou; Ausstattung: Kaïs Rostom; Ton: Frédéric De Ravignan; Musik: Nawfel El Manaa; Produzent: Dora Bouchoucha Fourati, Alain Rozanès, Pascal Verroust; Produktion: ADR Productions, Nomadis Images, A.N.P.A. Tunisie, ARTE France Cinéma
Mit: Hiam Abbass - (Lilia), Hend El Fahem - (Salma), Maher Kamoun - (Chokri), Faouzia Badr - (Lilias Nachbarin), Nadra Lamloum - (Hela), Abou Moez El Fazaa - (Kabarettbesitzer), Salah Miled - (Onkel Béchir), Monia Hichri - (Folla)
LG NICOLE * نيكول *